© Karlheinz Heiss
Leserbriefe
Schwäbisches Tagblatt vom 6. Oktober 2021
Katholik:innen, insbesondere diejenigen, die auf die Aufarbeitung
des Missbrauchsskandals hoffen, sind frustriert: der Papst zieht keine
personellen Konsequenzen in Köln (Woelki) und Hamburg (Heße).
Bitter, nicht nur für Betroffene!
Und wie sieht es mit der Aufarbeitung bei uns aus?
„Im Aufbau“, erklärt die Diözese: „Personen sind noch nicht ernannt,
aber fest im Blick. Für eine Übergangszeit ernennt der Bischof zwei
Opfervertreter für die Mitgliedschaft in der Aufarbeitungskommission.“
Vor elf Jahren wurde das Thema Missbrauch mit „Streuobst“
des Wurmlinger Autors Anton Birlinger im Dekanat Rottenburg greif-
bar, 2018 benennt eine großangelegte Studie ein strukturelles
Problem in der Kirche als Mitursache des Missbrauchs.
Bischof Dr. Fürst muss "übergangsweise" zwei Betroffene ernennen,
weil der Teilnahme-Aufruf an Betroffene noch aussteht.
Warum das so lange dauert? Das würde mich auch interessieren.
Ob die zwei "Ernannten" in der Aufarbeitungskommission überhaupt
eine Chance auf Gehör und Mitgestaltung des Prozesses haben,
wenn gleichzeitig drei Vertreter:innen des Landes BW und „kundige“
Menschen aus der Diözesankurie mit beraten?
Wir werden sehen, spannend wird es allemal.
Schwäbisches Tagblatt vom 20. November 2021
Aktion Mensch will die „Fachberatungsstelle gegen sexualisierte
Gewalt“ in Tübingen mit insgesamt 300.000 € unterstützen. Eine
sehr gute Entscheidung und die Frage an die Gesellschaft, wieso
solche Einrichtungen überhaupt notwendig sind. Nach wie vor gibt
es sexuelle Gewalt und die Familie ist der Hotspot. Väter führen die
Täterliste an-das ist bitter, traurig und ich frage mich, ob die
Gesellschaft diese Statistik irgendwann einmal als eine Erscheinung
aus früheren Jahren betrachten darf. Beim Blick auf die Förderer
von TIMA und Pfunzkerle fällt auf, dass die Kirchen nicht erwähnt
sind. Warum eigentlich? Vielleicht, weil die Prävention mittlerweile
als gut aufgestellt gilt? Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sowohl
die Evangelische wie die Katholische Kirche ein massives Problem
mit der Aufarbeitung des Missbrauchs haben. Betroffene verlassen
die Beiräte und fühlen sich durch die Vorgehensweise der
kirchlichen Stellen ein weiteres Mal missbraucht. Wir blicken in
unserer Diözese jetzt auf fast 20 Jahre Umgang mit dem Missbrauch
zurück, doch in punkto Aufarbeitung nehmen wir ein geschäftiges
Nichtstun wahr, und nichts lässt darauf schließen, dass sich etwas
ändern soll.
Zur Erklärung:
TIMA ist die Tübinger Initiative für Mädchen*arbeit
PFUNZKERLE e.V. ist die Fachstelle für Jungen- und Männerarbeit in
Tübingen
Schwäbisches Tagblatt hat nicht veröffentlicht,
Bezugsartikel stand im überregionalen Teil. Schade!
Kirchenrechtsprofessor Bernhard Anuth aus Tübingen wirft Kardinal
Marx Pflichtverletzungen im Umgang mit einem Missbrauchstäter
vor. Marx habe 2008 eine psychiatrische Begutachtung beauftragt
und ihn versetzt, aber keine interne Voruntersuchung angeordnet
und den Fall nicht nach Rom gemeldet. Dies alles steht im
Zusammenhang mit Vorwürfen gegen Kardinal Ratzinger, später
Papst Benedikt XVI. „Ein jegliches hat seine Zeit“ – nun hat also das
Schonen Benedikts ein Ende. Köln ist weit, München ebenso. Und
bei uns? Ich bin gespannt, wann der Fall W. E. und das mit München
zu vergleichende „problematische“ Handeln des Bistums prominent
in die Medien kommt. Dort fungierte der Generalvikar als Prellbock
gegen Angriffe auf Ratzinger - in Rottenburg führt Bischof Dr. Fürst
gern an, dass er gemäß den Empfehlungen der Kommission
sexueller Missbrauch entscheidet. Prof. Anuth ist ihr
stellvertretender Vorsitzender. Spätestens, wenn (falls) in unserer
Diözese eine Wahrheitskommission ihre Arbeit aufnimmt, wird „der
Fall“ öffentlich diskutiert und das Agieren der Kommission zu
bewerten sein. Insbesondere ihre
Vernetzung/Verschränkung/Abhängigkeit zur Diözesanleitung
während der letzten 20 Jahre.
Schwäbisches Tagblatt 25. Januar 2022
In Rottenburg swingt Bischof Dr. Fürst zu philippinischer
Gitarrenmusik, in München geht der Schrecken einer neuen
Missbrauchsstudie um und in Rom betreibt Papst Franziskus
Kinderlosenbashing: Einheit in Vielfalt. Wie heil erscheint uns in der
Region doch unsere katholische Welt. Mitnichten: Auch in
Rottenburg wurde mit Missbrauch m. E. fahrlässig umgegangen.
Unter Bischof Dr. Fürst wurden beschuldigte Priester in Pfarreien
belassen, einem geständigen Missbrauchstäter wieder Kinder- und
Jugendarbeit ermöglicht. Schnee von gestern? Das Brausen von
Köln und München wird auch Rottenburg erreichen, davon bin ich
überzeugt. Alle Bischöfe fühlten sich sicher – fest verschlossen
waren die Fälle in den Geheimarchiven. Köln, München, Rottenburg
- nur noch eine Frage der Zeit. Meine Forderung: Aufarbeitung
durch eine „Wahrheitskommission“ mit einer sauberen,
wissenschaftlich fundierten Recherche im Geheimarchiv vorab und
einer paritätischen Besetzung mit Betroffenen und
Kirchenvertretern, öffentlichen Sitzungen unter Leitung
unabhängiger Persönlichkeiten und einem ausführlichen, jederzeit
zugänglichen Schlussbericht. Aufarbeitung in Kirchenhand? Wäre
längst möglich gewesen.
Schwäbisches Tagblatt 25.2.2022
Gefühlt war es eine Premiere: nach 12 Jahren wurde in der RoPo
zum ersten Mal wieder eine redaktionelle Seite veröffentlicht, die
sich kritisch mit der Katholischen Kirche und dem Agieren von
Bischof Dr. Fürst auseinander setzt. Der Gegenstand der
Recherche: die Aufarbeitungskommission, die dem Namen
niemals gerecht werden kann, vermutlich auch nicht darf.
Eingerichtet von einem Bischof, der alles steuert: die Auswahl der
Betroffenen, die Auswahl der unabhängigen Mitglieder und den Z
ugang zu den Akten. Die Politik stellt fest: Die Katholische Kirche
kann den Missbrauch nicht aufarbeiten, ich sage: Sie will es auch
nicht. Dr. Fürst ging nach dem Bericht in die Offensive. Aussagen
über Zölibat und Weihe von Frauen kamen in die Medien, sie
berühren uns emotional - und sollen ablenken. Mit Erfolg.
Im überregionalen Teil der Südwestpresse kein kritisches
Nachfragen, insbesondere nicht zu möglichen Verwicklungen
in Vertuschungsaktionen. Ohne Nachbohren, ohne Akteneinsicht
keine Erkenntnis. Ich bin dankbar, dass die von mir wahrge-
nommene Hofberichterstattung der RoPo zu Ende ist.
Wir brauchen investigativen, kritischen Journalismus als
Wahrnehmung der Aufgabe der vierten Gewalt im Staat.
Schwäbisches Tagblatt 5. März 2022
Zu meinem letzten Leserbrief (s. u.) war folgende Anmerkung der
Redaktion zu lesen:
Drei Mitglieder der siebenköpfigen Aufarbeitungskommission hat die
Landesregierung vorgeschlagen. Berufen wurde die Kommission vom
Bischof.
Dieser Leserbrief nun zur Richtigstellung:
Eine „Anmerkung“ zu einem Leserbrief fühlt sich an wie ein Todes-
urteil für die Glaubwürdigkeit. Eine Richtigstellung, ein „Passt-auf:
Fake-News!“. So hereingebrochen über meinem Leserbrief am
25.2.2022 und damit auch über mich! Worum ging es?
Die Besetzung der Aufarbeitungskommission hat Bischof Dr. Fürst
„gesteuert“, so meine Aussage, und zwar bezüglich aller Mitglieder,
sowohl der Betroffenen wie der „Unabhängigen“ der Landes-
regierung. Diese Aussage war für den Redakteur nicht belegt.
Und dann kam aus Gründen der Fürsorge (danke dafür!) die
besagte Anmerkung. Meine Aussage fußt auf eine Mail, die
allerdings dem Redakteur noch nicht vorlag. Darin steht, dass
die Landesregierung der Diözese eine Liste übergeben hat und
die endgültige Auswahl der Mitglieder durch die Diözese erfolgt ist.
Ich denke, das darf man als „Steuerung“ einstufen. Also war meine
Aussage keine Spekulation (ich kündige an, wenn ich spekuliere),
sondern eine Tatsache. Und nun hoffe ich darauf, dass
dieser Leserbrief in der Zählung nicht berücksichtigt wird,
sondern als „Anmerkung“ zur Anmerkung gewertet wird.
Schwäbisches Tagblatt 9. April 2022
Vorwort zum besseren Verständnis:
Zitate aus der Südwestpresse vom 4.4.2022 bilden die inhaltliche
Grundlage des Leserbriefs.
In der Reihenfolge der Zitate:
1 Oliver Hermes vom Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft zu
Sanktionen gegenüber Russland
2 und 3 Bericht über die Einsetzung von Klaus Rennemann als
Stadtpfarrer in Rottenburg
4 Stefanie Brenner über ihre Arbeit mit ehemaligen Heimkindern
Montagmorgen Tagblattlektüre: getrennt gelesen und in Summe
gesetzt: „Ziel der westlichen Sanktionspolitik ist eine Verhaltens-
änderung der russischen Führung, nicht die völlige Zerstörung der
Wirtschaft und die Verarmung der Bevölkerung. - Auch die Kirche
sei in einer Krise und brauche Visionen und Gottvertrauen, um die
Dinge zum Besseren zu wenden. - Bischof Fürst bittet darum, den
neuen Dompfarrer nach Kräften zu unterstützen.“ Das Band,
das die Zitate verbindet, ist Engagement für ein positiv-erfülltes
Leben aller Menschen, ausgerichtet an der Würde. „Für Betroffene
ist es elementar, über Vergangenes zu sprechen.“
Also geht es auch um Aufarbeitung. Dieser Blick in den Spiegel der
eigenen Fehler fällt schwer. Und die Menschen, die uns den Spiegel
vorhalten, sind nicht gern gesehen – privat nicht und noch weniger
im Club der Mächtigen aus Politik und Wirtschaft. Die Furcht vor
Imageschäden ist immens und führt zu Ausgrenzung, Diffamierung,
Vertuschung. Die Katholische Kirche reagiert genauso panisch und
erschlägt moralische Verantwortlichkeit mit Kirchenrecht, auch in
Rottenburg. Die Dinge zum Besseren wenden heißt: Altes auf-
arbeiten und Neues in Gang bringen. Beides! Zeitnah!
Schwäbisches Tagblatt noch nicht veröffentlicht
Vorwort zum besseren Verständnis:
am 13. Mai wurde über ein Gutachten berichtet, das sich mit den
Namensgebern der Eberhard-Karls-Universität Tübingen beschäftigt
hatte. Insbesondere die Ausweisung der jüdischen Mitbürger:innen
aus Tübingen unter Graf Eberhard im Barte wird von Studierenden
problematisiert.
Ulrich Jansen zieht aus dem Gutachten eine spannende Erkenntnis:
dass nicht nur die Regierenden, sondern auch die Regierten anfällig
für autoritäre und antisemitische Einstellungen waren (und sind).
Sigrid Hirbodian, die das Gutachten vorstellte, wird zitiert, dass
sich Eberhard in seiner Einstellung „von seinen Zeit- und Standes-
genossen“ nicht besonders unterschieden hätte. Beides stimmt - und
beides taugt dazu, brandgefährlich zu relativieren.
Wir erfahren: Chef:in hat Macht, den Urlaubsantrag zu unterschreiben.
Wir wissen: Machthaber machen Gesetze oder ordnen Ausweisungen
an. Wir leben in einer Zeit, in der Machtansprüche überprüft und
Verantwortliche bei Versagen auch zur Verantwortung gezogen
werden könn(t)en.
Wer die Würde von Menschen verletzt, muss dazu entweder legitimiert
sein (Strafvollzug) oder muss sich dafür verantworten (Diskriminierung
von Lesben und Schwule). So funktioniert Demokratie, leider (noch)
nicht die Katholische Kirche mit ihrem gewählten Monarchen
(männlich, Kleriker) an der Spitze. Kann nicht sein? Ist so!
Was tun? fragt Jansen. Mein Vorschlag: Entscheider:innen als
verantwortlich benennen, auch in der Kirche.
Und „Hände weg!“ von Relativierungen.
Vorwort zum Verständnis: in einem Missbrauchsfall im Landkreis
Tübingen waren von der behandelnden Psychotherapeutin Hinweise an
das Jugendamt und an den Landrat gegangen, die ein Herausnehmen
von zwei Mädchen aus einer Pflegefamilie forderten. Jugendamt und
Landrat reagierten: Nicht im Sinne der Mädchen, sondern gegen die
Therapeutin. Es gab Anzeigen, die juristsich überprüft wurden. Dann die
Aussage (Tagblatt vom 21. Mai 2022, Ermittlungen eingestellt): Alles
rechtlich ok. Dazu der Leserbrief.
Schwäbisches Tagblatt noch nicht veröffentlicht
„keine Rechtsfehler“ wurden dem Jugendamt und dem Landrat
attestiert. So wird es wohl sein – wenn man nur die juristische Seite
sieht. Natürlich haben sich Jugendamt und Landrat schuldig
gemacht – moralisch-, nur werden sie die Schuld für sich nicht
annehmen, weil die juristische Bewertung sie freispricht. Ich denke,
das macht Menschen mit Macht aus: was juristisch geht, ist auch
moralisch ok. Aber so leicht dürfen wir es ihnen nicht machen, weil
das Recht eben biegsam ist. „Wer die Macht hat, hat das Recht, und
wer das Recht hat, beugt es auch,“ so Carl Orff 1943 in seiner Oper
„Die Kluge“. Moralisch, und todesmutig. Meine Forderung: Ich will
moralisches Handeln und Verantwortung der Mächtigen! Auch in
der Institution, die ihren Gläubigen Moral vorschreibt. Der Umgang
mit Missbrauch in unserer Diözese belegt es, auch sie hält sich
lieber an das (Kirchen-)Recht. Detailliert nachzulesen unter
www.karlheinz-heiss.de. Zum Schluss der Blick auf die Redaktion:
auf dem Tisch das Tintenfass „Moral“, ab und an ein Paar Spritzer
davon ins Tagblatt und sonst beflissen im Einklang mit der Macht
berichten. „Schlag nicht nach der Hand, die dich füttert!“ auch so
ein (unmoralischer) Satz…