© Karlheinz Heiss
Wahrheit finden
Unsere
eigene
Wahrheit
ist
wie
ein
Erntedankaltar:
Ausgegraben,
ge-
pflückt,
gewaschen,
vielfarbig,
importiert
und
angesiedelt
oder
heimisch,
gut
riechend
oder
neutral
sind
die
Früchte,
mit
denen
wir
die
Altarstufen
liebevoll
drapieren.
Wir
merken
im
gesellschaftlichen
wie
auch
im
theo-
logischen
Diskurs,
wie
wir
krampfhaft
unseren
Wahrheitsaltar
vor
anderen
Sichtweisen
oder
neuen
Ideen,
vor
anderen
Wahrheiten
schützen.
Psychologisch
betrachtet
mag
das
sinnvoll
und
nachvollziehbar
sein,
problematisch
wird
es,
wenn
sich
Wahrheiten
diametral entgegenstehen und aufeinanderprallen.
Wie kommen wir zur Wahrheit?
Was
ist
Wahrheit?
So
bin
ich
in
das
Buch
eingestiegen
und
habe
über
den
Umweg
„Plausibilität“
versucht,
die
Wahrheit(en)
in
Joseph
Hobens
Buch zu bestätigen.
Trotz
Plausibilität
bleibt
ein
„Glaubens“-Rest,
wenn
wir
Jemandem
zuhören,
wenn
wir
„wahr“-nehmen,
was
unser
Gegenüber
sagt.
Wir
können
das
für
wahr
erachten
und
glauben,
dass
es
wahr
ist
oder
eben
nicht.
Die
Arbeit
einer
Wahrheitskommission
bewegt
sich
also
auf
einem
problematischen, vielleicht sogar verminten Grund.
Wie eine Wahrheitskommission arbeitet
Mir
wäre
im
kirchlichen
Umfeld
bislang
nicht
bekannt,
dass
eine
Wahrheitskommission
gearbeitet
hätte.
Im
gesellschaftlich-politischen
Bereich
ist
durch
den
Tod
von
Erzbischof
und
Friedensnobelpreisträger
Desmond
Tutu
die
Wahrheitskommission
in
Südafrika
wieder
ins
Bewusstsein
gerückt
und
insbesondere
Bilder,
bei
denen
ein
in
sich
zusammengefallener
Vorsitzender
Tutu
zu
sehen
ist.
Man
kann
förmlich
spüren, wie ihn das Erzählte in den Boden drückt.
Lea
Massow
hat
über
Wahrheits-
und
Versöhnungskommissionen
ge-
schrieben. Sie führt uns ein in die Arbeitsweise.
„Opfer
haben
oft
das
dringende
Bedürfnis,
ihre
Geschichte
zu
erzählen
und
von
der
Öffentlichkeit
gehört
zu
werden.
Dies
ist
besonders
wichtig,
wenn
das
eigene
Schicksal
bisher
ausgeblendet
oder
totgeschwiegen
wurde.
Dass
ihm
zugehört
wird,
ist
eine
Wertschätzung
des
Opfers
und
seiner
Erfahrungen
und
trägt
zu
seiner
Rehabilitation
bei.
Der
Vorgang
der
öffentlichen
Anhörungen
bietet
den
Opfern
eine
Plattform,
ihre
Geschichte
ununterbrochen
darzustellen.
Um
möglichst
viele
Informationen
zu
sammeln,
fordern
die
Wahrheitskommissionen
oft
eine
Schilderung
in
genauen
Einzelheiten.
Dies
kann
Druck
auf
das
Opfer
ausüben,
der
Ärger
wiederaufleben
lässt
und
zuposttraumatischem
Stress
führt.
Zu
beachten
ist,
dass
jedes
Opfer
auf
die
Anhörung
vor
einer
Wahrheitskommission
unterschiedlich
reagiert
und
sie
deshalb
keinesfalls
eine
einheitliche
psychotherapeutische
Maßnahme
für
alle
Opfer
darstellt.
Zu
einer
wünschenswerten
psychotherapeutischen
Begleitung
der
Opfer
durch
die
Kommission
gab
es
bisher
nur
wenige
Ansätze.
“
Wichtiges
Stichwort
hier:
Öffentlichkeit.
Es
wird
nicht
hinter
verschlossenen
Türen
verhandelt,
es
werden
keine
Akten
angefertigt,
die
im
Geheimarchiv
verschwinden.
Nachfragen
dient
nicht
unterschwellig
der
Rechtfertigung
der
eigenen
Person
oder
der
Institution.
Das
Leiden
ist öffentlich.
„Zuhören
verhilft
dem
Anderen
erst
zum
Sprechen.
Der
Zuhörer
ist
ein
Resonanzraum,
in
dem
der
Andere
sich
freiredet.
So
kann
das
Zuhören
heilend
sein.
Die
verantwortliche
Haltung
des
Zuhörers
gegenüber
dem
Anderen drückt sich in Geduld aus.“
Auch wenn es manchmal zur Qual wird.
Die Besetzung der Kommission
„Die
Kommission
sollte
möglichst
viele
verschiedene
persönliche
Hintergründe
mitbringen.
Insbesondere
wenn
die
früheren
Konfliktlinien
entlang
ethnischen
Gruppenzugehörigkeiten
liefen,
ist
es
für
die
Akzeptanz
durch
die
Bevölkerung
wichtig,
dass
Zugehörige
jeder
Gruppe
vertreten sind.“
Heruntergebrochen
auf
eine
Wahrheitskommission
in
unserer
Diözese
hieße
das:
Betroffene
und
Vertreter:innen
der
Institution
Katholische
Kirche,
paritätisch
besetzt.
Notwendig
sind
nach
Massow
außerdem
Mitarbeitende,
die
„die
Arbeit
der
Kommission
bei
der
Bevölkerung
bekannt
machen,
Recherchen
anstellen,
Betroffene
ausfindig
machen
und die Anhörungen vorbereiten.“
In
diese
Vorbereitungsphase
ragen
kirchenrechtlich
und
persönlichkeits-
rechtlich
heikle
Frage
hinein:
wie
kann
mit
namentlich
aufgeführten
Betroffenen
kommuniziert
werden?
Wird
der
Bischof
alle
Akten
für
die
Recherche
zur
Verfügung
stellen,
wenn
ja,
wer
soll
Einsicht
in
die
Akten
nehmen?
Ich
setze
ich
auf
ein
anerkanntes
„wissenschaftliches“
Expertenteam:
den
Bereich
der
Historie
könnte
Prof.
Dr.
Hubert
Wolf,
Historiker
aus
Münster,
abdecken,
den
des
Kirchenrechts
Frau
Prof.
Dr.
Judith
Hahn
aus
Bochum.
Aufgabe
wäre
es,
die
Akten
auf
Vollständigkeit
zu
prüfen
und
der
Überlegung
nachzugehen,
wo
sich
weitere
Personalakten
finden
lassen
könnten.
Wichtig
in
dieser
Recherchearbeit
sind
auch
Protokolle
und
Unterlagen
der
Kommission
sexueller
Missbrauch,
die
nach
Abschluss
eines
Falls
ins
Geheimarchiv
des
Bischofs
übernommen wurden und werden.
Wirklich
unabhängig
und
neutral
müssen
auch
die
Leitenden
sein.
Mir
kommen
dafür
zwei
Persönlichkeiten
in
den
Sinn:
Dr.in
Hertha
Däubler-
Gmelin,
Juristin
und
ehemalige
Bundesjustizministerin
und
Dr.
Wolfgang
Schäuble,
ehemaliger
Bundesminister
und
Bundestags-präsident,
die
gemeinsam neutral und unabhängig leiten könnten.
„Die
Anhörungen
selbst
werden
dann
öffentlich
und
unter
möglichst
großer
Beteiligung
der
Bevölkerung
abgehalten.
Umstritten
und
je
nach
Kommission
unterschiedlich
ist,
ob
nur
Opfer
aussagen
dürfen,
oder
auch
Täter/innen.
Bei
der
Beteiligung
von
Täter/innen
kann
auch
deren
Sicht
zum
umfassenden
Verständnis
der
Verbrechen
beitragen.Andererseits
werden
verharmlosenden
Darstellungen
Tür
und
Tor
geöffnet
und
das
Aufeinandertreffen
kann
zur
Retraumatisierung
der
Opfer
führen.
Wahrheitskommissionen
stärken
die
Rechtsstaatlichkeitskultur,
indem
sie
öffentlich
auf
Menschenrechtsverletzungen
hinweisen
und
die
verantwortlichen
Institutionen
und
manchmal
Individuen
benennen.
Oft
stellen
sie
in
ihren
Berichten
die
Justiz
für
ihre
Inaktivität
oder
Komplizenschaft
an
den
Pranger.
Empfehlungen
der
Wahrheitskommissionen
beinhalten
häufig
Reformvorschläge
für
Militär,
Polizei
und
Justizwesen.
Dazu
gehört
auch
die
Entlassung
belasteter
Funktionsträger.
Die
Umsetzung
der
Reformvorschläge
hängt
jedoch
weiterhin
vom
politischen
Willen
der
Regierung
ab
und
ist
in
vielen
Fällen
mangelhaft.
Dieser
Widerspruch
zwischen
den
Empfehlungen
und
ihrer
Umsetzung
können
bei
der
Bevölkerung
zu
Kritik
und
Desillusion
führen.
An
Wahrheitskommissionen
wird
kritisiert,
dass
sie
durch
ihren
Fokus
auf
strukturelle
Ursachen
der
Gewalt
statt
individueller
Verantwortlichkeit
eine Kultur der Straflosigkeit fördern.
Durch
die
Ermittlung
der
Wahrheitskommission
werden
aber
in
vielen
Fällen
Täter/innen
sowie
ihre
Familien
und
ihr
Umfeld
zum
ersten
Mal
mit
ihrem
Tun
konfrontiert.
Zudem
kann
die
Nennung
von
Namen
im
Abschlussbericht
zu
einem
gewissen
Maß
individueller
Verantwortlichkeit führen.“
Die
Nennung
von
Namen,
das
Verfassen
eines
Abschlussbericht,
die
„Entlassung
belasteter
Funktionsträger
–
spätestens
an
dieser
Stelle
wird
es emotional ungemütlich.
Das
Dokumentieren
lag
bislang
in
den
Händen
der
Institution
Katholische
Kirche,
die
Dokumente
wurden
weggeschlossen
im
Geheimarchiv
des
Bischofs.
Nun
soll
bei
der
Recherche
Transparenz
hergestellt
werden,
die
Anhörungen
öffentlich
sein
und
schließlich
ein
Abschlussbericht
erstellt
werden,
der
alles
ebenso
öffentlich
einsehbar
dokumentiert. Das wäre in der Tat neu! Und erstrebenswert.
Die Zeit, als das Wünschen noch half
„…
ebenso
war
die
Diözese
Rottenburg-Stuttgart
die
erste
Diözese,
die
Missbrauch
an
Kindern
und
Jugendlichen
aufgearbeitet
hat,
Täter
bestraft
hat
und
Opfern
versuchte
Gerechtigkeit
widerfahren
zu
lassen.“
sagte Bischof Dr. Gebhard Fürst am 17. Oktober 2021 in einer Predigt.
Lassen
wir
diese
Selbsteinschätzung
so
stehen.
Ich
proklamiere,
dass
die
Zeit da ist, in der Wünschen wieder hilft!
Und
so
wünsche
ich
mir,
dass
Bischof
Dr.
Fürst
bei
seiner
Abschiedspredigt als Bischof der Diözese folgende Worte sagen kann:
„Die
Diözese
Rottenburg-Stuttgart
war
die
erste
Diözese,
die
beschlossen
hat,
mit
einer
unabhängigen
Wahrheitskommission
den
Prozess
der
Aufarbeitung
und
Vertrauensbildung
in
Gang
zu
setzen.
Ich
danke
allen,
die
an
dem
Prozess
mitgewirkt
haben,
an
erster
Stelle
den
Betroffenen,
die
trotz
des
Leids,
das
sie
erfahren
haben,
zum
Sprechen
bereit
waren,
dann
den
vorbereitenden
Gremien
und
den
beiden
Vorsitzenden
und
schließlich
allen
Menschen
in
unserer
Diözese,
die
über
eine
lange
Zeit
Erstarrung
erlebt
haben
–
meine
eigene
Erstarrung
wie
die
der
Institution
Katholische
Kirche
-
und
die
trotz
alledem
an
der
Botschaft des Heils und der Befreiung festgehalten haben.“
Auszug aus:
Schwarze Pädagogik
Gewalterfahrungen in katholischen
Knabenseminaren und Knabenkonvikten